Blog Special Edition 2: Was uns bisher so auffiel an Russland

Blumenläden. Überall und mit Vorliebe 24 Stunden geöffnet.

LAUTE MUSIK! Lautsprecher auf der Straße, in der Sauna, im Bus mitten im Naturschutzgebiet, im Park, im Restaurant, und meist mit für unsere Ohren echt unpassender, viel zu lauter Musik. Electro-Rave-Geduzze beim Spaghetti essen, Radio Irkutsk wenn man am Zebrastreifen steht, und meist natürlich auch die allgegenwärtige Kinderunterhaltung in der Nähe, die hübsch verkleidet Sachen in ein Mikro brüllt und Kinder mit einem Seil bespaßt (sehr vielfältig, diese Seile).

Du gehst gerne mal an einer Stelle über die Straße an der du das eigentlich nicht darfst? Sehr gut! Da machst du dem russischen Autofahrer eine große Freude! Denn sobald er dich auf der Straße erspäht, wo du nicht hingehörst, steigt er nochmal so richtig aufs Gas! Hui, das macht Spaß, zu sehen, ob man den noch kriegt!

Sushi. Das Sushi ist in Russland angekommen, und zwar nicht nur ein bisschen, sondern so richtig. Überall gibt es Sushi. Wirklich! Über! All!

Die Speisekarte eines normalen Restaurants besteht aus Salat (Caesar’s Salad, natürlich nicht wie wir ihn kennen, sondern mit einer dicklichen Mayopampe als Sauce, meist griechischem Salat- in der Regel besteht das Dressing hier aus Öl und grünem Pesto – und meistens wars das dann), drei bis vier Pastagerichten, Burgern und Sushi. Allerdings – naja – gut ist anders. Vielleicht nennen wir es eher eine Sushi…..äh…. Variation.

Auch in jedem Supermarkt und an jeder Ecke gibt es ein Kühlregal oder einen kleinen Stand mit Sushivariationen. Neben diesen aufgeführten Essmöglichkeiten und einigen traditionellen russischen Lokalen ist es übrigens schwer, noch anderes zu finden (außer KFC, die scheinen den ehrgeizigen Plan zu haben, hier so groß zu werden wie das Sushi-Imperium).

Outfit. Wer eine Jogginghose trägt hat die Kontrolle über sein Leben verloren? Wow, Karl Lagerfeld, mutig, sich ein paartausend Russen zum Feind zu machen… das sind nämlich die, die dich über den Haufen fahren, wenn du zwei Meter neben dem Zebrastreifen einen Fuß auf die Straße setzt! Ach ja, Frauen bitte je nach Alter hyper aufgestylt oder in 60er-Jahre Manier schön brav oder dann eben ab 38 (Durchschnittsalter in Russland) sofort an den Klamotten als uralt klassifizierbar.

Du sprichst kein Russisch? Egal. Wozu die Ruhe verlieren und die Fremden anbrüllen als wäre man ein alter bayerischer Hinterwäldler? Die Russen sprechen meist auch kein Englisch, aber dafür oft zwei bis vier deutsche Wörter. Freuen sich sehr, diese zu sagen und fahren dann unbeirrt freundlich fort, einem einfach alles auf Russisch zu erzählen. Auch gerne mal 10 Stunden im Zug und öfter mal Witze (so wirkt es zumindest) – und wenn’s dann wirklich mal wichtig ist, eben mit Händen und Füßen!

Kreditkarten – immer, überall, für alles. Auch das Eis vom Stand auf der Straße für umgerechnet 60 Cent. Das schafft natürlich auch einen anderen Bezug zu Bargeld als wir ihn haben – z.B. ist es mitunter sehr schwierig, einen 500-Rubel-Schein loszuwerden (entspricht etwa 6,50€), weil man auf so große Scheine nicht rausgeben kann. Ein normales Abendessen im Restaurant kostet aber trotzdem oft 2000-3000 Rubel – 500 sind also keine abnormal hohe Summe. Wie die Augen sich bei einem 5000er- Schein weiten, brauchen wir wohl hier nicht zu erwähnen. Also – immer schön passend Geld dabei haben. Oder halt gar keins – kam auch schon vor dass nur Kartenzahlung möglich war.

Ach ja, kleiner Nachtrag zum Geld: Rubelscheine gibts ab 10 Rubeln – uns hat auch jemand erzählt, es hätte schonmal 5 gegeben. 10 Rubel sind ungefähr 13 Cent. 1, 2 und 5-Rubel-Stücke existieren natürlich auch noch – was aber wirklich schön ist, sind Kopeken. 10 und 50 konnten wir bisher ergattern, dh wir haben eine Münze mit einem Wert von ca. 0,13 Cent mit der wir absolut gar nichts anfangen können außer sie lieb zu haben.

Hausschuhe. So oft es geht bitte. Kommt man in ein Haus, ein Hotel oder sonst wohin, Schuhe aus, Schlappen an. Am besten nie, niemals eine Gelegenheit auslassen, Pantoffeln zu tragen! Sind allerdings multifunktional und können auch zum verprügeln von Kindern genutzt werden, wie wir neulich im Zug lernen durften.

Vodka ist out, Bier inn und Edelweiß und Kronenbourg sind hierzulande russische Biere. Russland hatte/hat wohl ein relativ großes Alkoholproblem, weshalb Alkohol in der Öffentlichkeit weitestgehend verboten ist und auch nachts nicht mehr verkauft werden darf und wir wurden inzwischen auch schon einige Male nach dem Ausweis gefragt.

Tauben!!!! Diese Viecher sind die unglaublichsten, robustesten Brocken an Dreistigkeit die man sich vorstellen kann. Auch nur einen Schritt zur Seite weichen weil ein Mensch oder ein Auto kommt?! Ha, niemals!!

8. Etappe: Krasnojarsk… da hat jemand was vor!

Krasnojarsk! Noch nie gehört? Komisch! Diese Kleinstadt im tiefsten Sibirien, in der wir uns gerade befinden (nach einer wirklich furchtbaren Nacht im Zug mit den beiden Betten, die direkt an die Klotür grenzen und damit den Vorteil haben, noch kürzer und schmaler zu sein als ohnehin schon und bezaubernden Bettnachbarn, nämlich einer schlechtgelauten Omi mit ihren zwei insomnischen Enkeln die sie unablässig mit einem ihrer Schlappen – oder wenn sie ihren gerade nicht finden konnte, eben einem von unseren – verdreschen musste), hat nämlich große Pläne!

2019 finden hier nämlich die Winterspiele der Studenten statt, und das scheint eine große Sache zu sein, denn es sieht so aus, als ob momentan die ganze Stadt umgebaut und auf Vordermann gebracht werden würde.

Der Verdacht, der uns schon in anderen – vor allem an der WM beteiligten Städten – beschlichen hatten, erhärtet sich hier: die wahnsinnig sauberen, schönen, glänzenden, neu gepflasterten und bepflanzten Straßen, Plätze und Parks, die so gar nicht so aussehen, wie man sich die ehemalige Sowietunion vorstellt, haben wohl alle eine noch gar nicht so lang zurückliegendene Generalüberholung hinter sich.

Ach ja, apropos Sibirien: hier hat es immer zwischen 20 und 30 Grad, ist super grün und in jeder Stadt werden als Sehenswürdigkeiten die Eisstädte angepriesen – auf jeden Fall ein Grund, die Reise nochmal im Winter zu machen (auch um die Vorstellung, die man so in seinem Köpfchen von Sibirien hat, abzugleichen)!

9. Etappe: Irkutsk- das was da auf dem Risikofeld ganz rechts ist… wo sind wir?

Tja, Irkutsk. Hier haben wir zum ersten Mal einen längeren Zwischenstopp eingeplant, nämlich fast eine Woche. Weil es hier so toll sein sollte, man am Baikalsee ist und den ja genießen muss (im Winter Hundeschlitten über den größten See der Welt der trotzdem zufriert, im Sommer baden am Strand).

So weit, so gut – nur, was nirgends stand: Irkutsk liegt leider auf der falschen Seite fürs Baden (weil im Moment = Sommer) und ist vom Prinzip her eine russische Stadt wie andere auch – aber – und jetzt kommt der entscheidende Unterschied: ein paar Touristen haben sie für sich entdeckt. Vor allem chinesische und russische, aber zum ersten Mal seit fast einem Monat sind wir auch wieder Deutschen begegnet, dazu ein paar Spaniern, Südamerikanern, Österreichern, Franzosen, Amerikanern und Niederländern.

Und hier wurde uns auch bewusst, was uns bisher so gut an Russland gefallen hat: die touristische Verschonung.

Durch die Touristenmassen, die in Moskau schon befremdlich waren, hier aber unangenehm sind, gefällt uns die Stadt leider nicht so gut wie sie es sonst vielleicht könnte.

Was wir wiederum interessant finden ist, dass man die Nähe zur Mongolei langsam schon ein bisschen spüren kann, vor allem beim Essen. Oder wir bilden uns die ganze Sache ein und das hat alles nichts miteinander zu tun – aber das werden wir ja alles nächste Woche erfahren :)!

Und noch etwas Verwirrendes… nachdem wir die rote Linie in Jekaterinburg ja schon erfolgreich verfolgt hatten, stießen wir hier auf die… grüne Linie. Und den Eiffelturm. Hm. Das lässt uns ratlos.

Olkhon-Insel… Wiiiiiilsoooooooon!!!

Auf den Rat eines in Irkutsk lebenden Belgiers hin haben wir spontan beschlossen, die Tagesausflugspläne die wir von Irkutsk aus hatten, zu knicken und stattdessen drei Tage auf die Insel Olkhon zu fahren – die größte und auch einzige bewohnte Insel im Baikalsee (70 km lang, 1500 Bewohner).

Landschaftlich wunderschön hat dieser Ausflug uns auf jeden Fall für Irkutsk entschädigt – touristisch steht die Insel der Stadt leider inzwischen in nichts mehr nach sondern macht ihr ernsthafte Konkurrenz.

Es gibt nur eine Stadt auf der Insel und sonst noch ein paar verstreute Häuser, wenn fünf zusammenstehen, nennt sich das dann „Dorf“.

Auch die Stadt ist überschaubar – durchquert hat man sie in jede Richtung in etwa zehn Minuten zu Fuß. Befestigte Straßen gibt es nicht, aber braune Erdspuren die sich dort durch die Wiesenlandschaft ziehen, wo eben alle Autos sie durchfurchen. UND es gibt keinen Geldautomaten!!! Und das ist quasi ein Wunder, denn die Dinger sind sonst so unglaublich omnipräsent, dass man meinen könnte, Russland besteht aus gar nichts anderem.

Bis vor einigen Jahren gab es hier noch keinen Strom, aber das hat sich geändert. Fließend Wasser ist zwar noch nicht, durch das Naturschutzgebiet, das die Hälfte der Insel ist, rollen aber täglich Dutzende von Minibussen, die Hunderte von Touristen in einer Massenabfertigung von einem Felsen zum nächsten karren, damit jeder mit seinem Lieblingsstein ein wunderbar inszeniertes Selfie für Daheim machen kann.

Abends gibt’s Unterhaltungsprogramm direkt im Guesthouse oder in der Festhalle – ein Zirkuszelt im Rande der Stadt.

Der Baikalsee wirkt eher wie Meer, was bei der Größe nicht verwunderlich ist. Er ist an der tiefsten Stelle ca. 1,6 km tief, 82 km breit und 673 km lang und benimmt sich auch wie ein Meer – Wellen sind möglich und es gibt Sandstrände. Das Wasser ist so klar, dass man an manchen Stellen wohl bis zu 40 Meter tief sehen kann.

Die Insel ist so eine seltsame Mischung aus Unberührtheit und touristischer Überfüllung. Die Zivilisation ist irgendwie nur in Brocken angekommen (im der Stadt Stehen Colakühlschränke, daneben grasende Kühe und nach einer westlichen Toilette sucht man eher vergeblich – übrigens haben wohl sehr viele Menschen nicht die Fähigkeit, ein 60-cm-Loch im Boden zu treffen…). Man kann stundenlang in einem Kleinen Truck darüber holpern (bevor wir hier waren, hatten wir wirklich keine Ahnung, was das Wort Schlagloch bedeutet. Wirklich. Keine.) und sieht Herden von Kühen und Pferden, die mitten im Nichts seelenruhig grasen.

Auch für viele Russen ein Naherholungsgebiet, immer wieder sieht man am Ufer ein aufgeschlagenes Zelt.

Insgesamt also Landwirtschaftlich wirklich wunderschön, die Touristenabfertigung aber mächtig abstoßend. Bleibt zu hoffen, dass das alles so nicht in kürzester Zeit ruiniert wird.

10. Etappe: Ulan Ude. Endlich. Wir haben ihn gefunden.

Was wussten wir bisher von Ulan Ude? Naja, ein junger Russe, den wir im Zug getroffen hatten und dem wir von unseren Reiseplänen erzählt hatten, brach in ein lang anhaltendes, lautes Klagen aus („Noooo! No, no, no, no, nooooooooo! Not Ulan Ude, noooooo!!“). Und: hier steht er. Der größte Leninkopf der Welt.

Johannes am Ziel seiner Träume. Fast acht Meter ist er hoch, vierzig Tonnen schwer

und steht zusätzlich noch auf einem ziemlich hohen Steinsockel.

Da wir nur einen Abend in Ulan Ude hatten, war das tatsächlich neben etwas zu essen und einem kurzen Spaziergang durch die Stadt die einzige atemberaubende Erfahrung, die wir hier gemacht haben.

Wobei… um ehrlich zu sein, war da eben zum einen noch die halbe Stunde, in der wir drei jungen Kellnerinnen unentwegt die Schamesröte ins Gesicht trieben bis sie sich minutenlang unter dem Tresen versteckten weil ihnen so peinlich war, dass sie kein Englisch sprachen und zum anderen die sowohl haptisch (interessantes Leinen-Papier-Klebe-Gefühl) als auch optisch überaus ansprechende Tapete unseres Hotelzimmers (wo wir in Ermangelung eines anderen Angebotes ein Dreibettzimmer gebucht und eines mit einem einzigen 1,20m Bett bekommen hatten – kuschelig :)).